Papst, Pädophilie, Klassenkampf

Von Sara Flounders*
(25. April 2010)

Vor über 150 Jahren erklärte Karl Marx: “Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander.“ Der Kampf ist ein „ununterbrochene(r), bald versteckte(r), bald offene(r) Kampf.“ Mit der modernen Gesellschaft kommen „neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes“.

Ein heftiger Kampf ist in den letzten 25 Jahren in der Katholischen Kirche ausgebrochen, und zwar dergestalt, dass die schwerstens betroffenen Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch immer lauter gefordert haben, einzelne Priester zur Verantwortung zu ziehen, und schließlich auch die mächtige Kirchenhierarchie, darunter Bischöfe und Kardinäle, die die Übeltäter immer wieder in Schutz genommen hatten.

Diese Forderung nach Gerechtigkeit hat nun das Unvorstellbare bewirkt. Sie hat die Rolle ans Licht gebracht, die der gegenwärtige Papst bei einer ungeheuerlichen internationalen kriminellen Vertuschungsaktion gespielt hat.

Der Marxismus ist eine Wissenschaft zum Verständnis der Klassenfragen, die den sozialen Entwicklungen zugrunde liegen, mögen diese auch undurchsichtig und weit vom unmittelbaren Kampf der Arbeiter erscheinen. Der gegenwärtige Streit, obgleich in klerikalem Gewande, ist in jeder Beziehung ein Klassenkampf innerhalb der Katholischen Kirche. Er ist ein kleiner Abschnitt des globalen Klassenkampfes für volle Gleichheit, Gleichberechtigung und gleiche Verantwortung.

Was einst hingenommen wurde, weil es anscheinend keine Abhilfe gab, ist unerträglich geworden. Tausende der Opfer, die Anklage wegen Pädophilie erheben, waren loyale Gläubige aus der Arbeiterklasse, die lange Zeit völlig zu machtlos waren, um sich den begangenen Verbrechen zu widersetzen oder auch nur gegenüber ihren eigenen Familien davon zu sprechen. Sie wurden als Kinder in Waisenheimen, Reformschulen, Behindertenschulen, örtlichen Gemeindeschulen und Kirchen missbraucht.

Diese Kampfansage von unten gegen Verschwiegenheit und Verdrängung war ein scharfer Bruch mit der Vergangenheit. Der Missbrauch war unangefochten geblieben, weil die religiöse Autorität unangefochten war. Sexueller Missbrauch blieb in vielen Gemeindeschulen verborgen, und doch waren physischer und psychologischer Missbrauch und Erniedrigung so sehr Routine, dass sie als Bestandteil des Lehrplans erschienen.

Wenn die Überlebenden zu sprechen begannen, wurden Priester, die sich an die Seite der Missbrauchten stellten, zum Schweigen gebracht und aus dem Lehramt oder Ämtern, die mit Autorität verbundenen waren, entfernt. Und dennoch war die Kirchenhierarchie, eine kleine Gruppierung, die über religiöse Autorität verfügt, nicht in der Lage, diese Bewegung zum Schweigen zu bringen oder zu stoppen.

Fast jede Aufdeckung kam nicht von außen oder von weltlichen Behörden – die scheuten den Konflikt mit einer so machtvollen Institution – sondern von angeblich machtlosen Katholiken innerhalb der Kirche, die nicht länger schweigen wollten. Sie bewirkten Beschwerden, Zeugenaussagen und schließlich ein Gerichtsverfahren nach dem anderen. Sie veranstalteten Pressekonferenzen, schufen Webseiten, organisierten Demonstrationen und Unterstützergruppen und verteilten Flugblätter bei Sonntagsgottesdiensten. Ob sie sich selbst als Teil des umfassenderen Kampfes für Recht und Würde verstehen oder nicht, sie benutzen vielfach dieselben Taktiken, die zahllose andere Kämpfer benutzt haben.

Die Kirchenhierarchie, die energisch für die unbestrittene Behauptung ihrer Autorität, Vermögensinteressen und Privilegien kämpfte, verlangte absolute Verschwiegenheit, drohte mit Exkommunikation derer, die die Anklagen erhoben, und verlangte Wohlverhalten der weltlichen Amtsträger. Diese Anstrengungen für die Aufrechterhaltung der absoluten Autorität der Priesterschaft sind Teil eines umfassenderen inneren Kampfes um die Frage, welchen Interessen diese mächtige religiöse Institution dienen soll.

Dieser internationale Skandal, der die Katholische Kirche erschüttert, umfasst exakte Beweise über Zehntausende von Fällen von Kindesvergewaltigung und –missbrauch, die von Tausenden von Priestern begangen wurden. Die Anklagen erstrecken sich über Jahrzehnte. Der Kampf entbrannte in seiner heftigsten Form in Städten mit dem stärksten Anteil an religiösen Gläubigen in den USA. Danach brach er in Irland aus, gefolgt von Italien und Teilen Deutschlands mit großen katholischen Bevölkerungsanteilen.

Was neu ist und nun fast täglich Medienaufmerksamkeit erfährt, sind von allen Seiten durchsickernde Anhaltspunkte für die persönliche Verantwortung des derzeitigen Papstes Benedikt XVI in Jahrzehnten der Verdrängung, Vertuschung und stillschweigenden Versetzung von Sexualstraftätern. Die schärfsten Worte der Verurteilung kommen von jenen, die sich selbst immer noch als Teil der Katholischen Kirche betrachten.

Der liberale katholische Theologe Hans Küng beschreibt die Rolle Benedikts XVI bei der Duldung des weiteren Missbrauchs, seiner Vertuschung und der Anweisung zur Verschwiegenheit: “Es gab in der ganzen katholischen Kirche keinen einzigen Mann, der so viel wusste über die Missbrauchsfälle, und zwar ex officio – von seinem Amt her…..Er kann doch nicht nur den Bischöfen den Zeigefinger machen – ihr habt das nicht genügend gemacht – er selber hat die Instruktionen gegeben – als Chef der Glaubenskongregation und auch als Papst wieder neu.“

Der „National Catholic Reporter“ schrieb am 26. März in einem Kommentar: „Der heilige Vater ist jetzt genötigt, in glaubhafter Form Fragen über seine Rolle – als Erzbischof von München (1977-82), als Präfekt der Glaubenskongregation (1982-2005) und als Papst (2005 bis heute) – zur verfehlten Behandlung der Krise des klerikalen Sexualmissbrauchs direkt zu beantworten“

Vor seiner Erhebung an die Spitze der Katholischen Hierarchie im April 2005 hatte sich Papst Benedikt XVI als Kardinal Joseph Ratzinger einen Namen gemacht. Seine Gegner bezeichneten ihn als Pitbull oder als „Gottes Rottweiler“. Ratzinger war als extrem Rechter eine politische Ernennung von Papst Johannes Paul II, der entschlossen war, in einer sich mitten im Umbruch befindenden Institution Disziplin, Konformität und Kirchenautorität durchzusetzen.

Ratzinger stand 24 Jahre an der Spitze der mächtigsten und geschichtlich repressivsten Einrichtung der Katholischen Kirche, der Glaubenskongregation. Diese Körperschaft bestand Jahrhunderte lang unter dem Namen Heilige Inquisition. Als Institution der Kirche war sie zuständig für die Schaffung religiöser Gerichte zur Anklage und Folter von Tausenden von Menschen, die der Hexerei oder Häresie beschuldigt wurden. Sie leitete die Pogrome und Massenenteignungen von Juden und Muslimen. Durch dieses Amt innerhalb der Kirche versuchte Papst Johannes Paul II eine moderne Inquisition einzurichten.

Dokumente belegen umfangreiche Vertuschung

Aufgedeckt wurde das ganze Ausmaß der internationalen kriminellen Verschwörung des Schweigens zum Schutz von Serientätern und Kircheninteressen anstelle des Schutzes und Wohlergehens von Kindern in den letzten Jahre im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch in Irland, einem überwiegend katholischen Land.

Nach jahrelangen Forderungen der Missbrauchsopfern nach einem Tätigwerden der Kirche und staatlicher Verfolgung sowie einer Serie von Enthüllungen in den irischen Kirchemedien gab die irische Regierung eine Studie in Auftrag, die bis zur Fertigstellung 9 Jahre brauchte. Am 20. Mai 2009 veröffentlichte die Kommission einen Bericht von 2.600 Seiten.

Der Bericht wertete die Zeugenaussagen Tausender ehemaliger Insassen und Betreuer von über 250 kirchlichen Einrichtungen aus. Die Kommission stellte fest, dass katholische Priester und Nonnen Tausende von Jungen und Mädchen Jahrzehnte lang terrorisiert hatten, und dass die staatlichen Inspektoren es versäumt hatten, die ständigen Prügel, Vergewaltigungen und Erniedrigungen zu stoppen. Der Bericht bezeichnete Vergewaltigung und Erniedrigung in irischen katholischen Berufsschulen und Waisenhäusern als „endemisch“. (http://www.childabusecommission.com/rpt/)

Das Ausmaß der Missbrauchsfälle in Irland und die Kraft der Bewegung, die Rechenschaft forderte, zwangen Papst Benedikt, im Namen der Katholischen Kirche eine schwache Entschuldigung auszusprechen, indem er die örtlichen irischen Bischöfe tadelte. Dieses Ableugnen jeglicher persönlicher Verantwortung aufgrund der Rolle desjenigen, der bekanntermaßen auf Verschwiegenheiten bestanden hatte, verärgerte Millionen ehrliche gläubige Katholiken und schürte nur noch mehr die Opposition, die innerhalb der Kirche seit Jahrzehnten angewachsen war.

Auf die schwache Entschuldigung entgegnete der langjährige Kritiker der kirchlichen Vertuschung, Pfarrer James J. Scahill, in einer Predigt in Springfield (Massachusetts) mit der Beschreibung einiger Mitglieder des Klerus als „Straftäter“ und der Forderung nach einem Rücktritt von Papst Benedikt.

Scahill erklärte: “Wir müssen einzeln und gemeinsam erklären, dass wir die Aufrichtigkeit des Papstes und der kirchlichen Würdenträger, die ihn verteidigen oder sich sogar für ihn aufopfern, sehr bezweifeln. Es ist inzwischen offenkundig geworden, dass die Kirchenführung Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte lang den Missbrauch von Kindern und Minderjährigen deckte, um ihr institutionelles Image und das Image der Priesterschaft zu schützen,“. (New York Times v. 12. April)

Scahill gab zu, er habe erst angefangen, den Mund aufzumachen, als während der Enthüllungen von Jahrzehnten sexuellen Missbrauchs in Boston 2002 seine eigenen Gemeindemitglieder zu ihm gekommen seien und ihm gesagt hätten, dass etwas getan werden müsse.

Bei der Abschirmung von Priestern, die Kinder belästigten, gegen Bestrafung durch religiöse oder weltliche Behörden und bei ihrer heimlichen Versetzung spielte Kardinal Bernard Law von der Bostoner Erzdiözese eine entscheidende Rolle. Dies wurde zu einem nationalen Skandal, als ein Richter in Massachusetts 2002 genehmigte, Tausende Seiten von Dokumenten, Memoranden und Zeugenaussagen zu veröffentlichen. Die Dokumente zeigten ein eindeutiges Muster der Vertuschung, des Schutzes von Tätern und der Missachtung der Opfer und deckten auf, dass seit 1940 über 1000 Kinder von 250 Priestern und Kirchenangestellten der Erzdiözese missbraucht worden waren. Kardinal Law wurde gezwungen, von seinem Posten in Ungnade zurückzutreten, und der Erzdiözese Bosten wurde auferlegt, zur Regelung von 552 Fällen eine Abfindung in Höhe von 85 bis 100 Millionen US$ zu zahlen.

Diese Multi-Millionen-Dollar-Abfindung, die auch in anderen Städten aufkommenden Skandale und die Medienberichterstattung zwangen die Bischöfe der USA zur Veröffentlichung einer „Charta zum Schutz von Kindern und Jugendlichen“, die gegenüber Priestern, die sich etwas zuschulden kommen ließen, eine Politik der „Null-Toleranz und des Rausschmisses bei der ersten Verfehlung“ verkündete.

Selbst dieses bescheidene Bemühen der US-Bischöfe um eine Politik des Reinemachens wurde von dem damaligen Kardinal Ratzinger im Vatikan verworfen. Er verlangte, dass alle Missbrauchsvorwürfe an die von ihm geleitete Behörde, die Glaubenskongregation, überwiesen wurden, bevor die Priester aus der Priesterschaft ausgeschlossen werden konnten. Eine seiner ersten Amtshandlungen als Papst war die Beförderung von Kardinal Law von Boston auf einen prestigeträchtigen Posten im Vatikan.

In einem viel zitierten, schändlichen Brief an die Bischöfe aus dem Jahre 2001 benutzte Kardinal Ratzinger seine Position um anzuordnen, dass sexuelle Missbrauchsvorwürfe unter Androhung der Exkommunikation geheim gehalten werden sollten. Den sexueller Verbrechen beschuldigten Priestern und ihren Opfern wurde befohlen, „strengste Geheimhaltung zu üben“ und „sich auf immerwährendes Schweigen zu beschränken.“

Der ehemalige Vatikan-Jurist, Vater Tom Doyle, verurteilte diese allerhöchste Vatikan-Politik mit den Worten: „Hier hat man es mit einer ausdrücklichen, schriftlich festgelegten Politik zu tun, Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch durch Kleriker zu vertuschen und jene zu bestrafen, die auf diese Verbrechen durch Kirchenmänner aufmerksam machen. Wenn missbrauchende Priester entdeckt wurden, war die Reaktion nicht, zu untersuchen und strafrechtlich vorzugehen sondern sie von einem Platz auf den anderen zu versetzen.“

Kriminelle Fahrlässigkeit oder Mittäterschaft?

Wie umfangreich sind die sexuellen Missbrauchsvergehen, die gegen Jugendliche begangen wurden? Ist die Kirchenhierarchie schuldig, das Problem verkannt zu haben – d.h. der kriminellen Fahrlässigkeit schuldig? Oder ist sie der kriminellen Mittäterschaft schuldig, weil sie sich weigerte, tätig zu werden, selbst wenn Verbrechen zu ihrer unmittelbaren Kenntnis gebracht wurden.

Im April wurde ein Memorandum bekannt, das von Kardinal Ratzinger, dem jetzigen Papst Benedikt XVI, unterzeichnet worden war, als er die mächtige Vatikan-Behörde leitete, wo alle Missbrauchsklagen zentralisiert wurden, und löste einen erneuten Aufschrei aus. Ratzinger verfügte die Einstellung jedes Vorgehens gegen den abscheulichen Priester, Reverend Lawrence C. Murphy.

Reverend Murphy war des sexuellen Missbrauchs von über 200 Jungen in einer Blindenschule in Milwaukee angeklagt. Außerdem hatte selbst sein Bischof um seine Ausstoßung gebeten. Jahrzehnte lang hatten ehemalige Schüler bei Treffen mit dem Bischof und weltlichen Amtspersonen durch Zeichensprache und schriftliche Erklärungen gefordert, dass Vater Murphy angezeigt und angeklagt werde.

Zur gleichen Zeit wurde in Italien gemeldet, dass 67 ehemalige Schüler einer anderen Schule für Taubstumme in Verona 24 Priester, Brüder und Laien beschuldigten, sie ab dem Alter von 7 Jahren sexuell missbraucht zu haben.

In Deutschland tauchten in den letzten zwei Monaten über 250 Missbrauchsfälle auf, darunter in Bezirken, die Papst Benedikt zu seiner Zeit als Bischof direkt unterstanden.

Die internationale Aufmerksamkeit auf die sexuelle Missbrauchsklagesache in Boston und die Multi-Millionen-Dollar-Abfindung gab anderen Missbrauchsopfern den Mut, an die Öffentlichkeit zu gehen und Gerechtigkeit zu fordern. In den USA wurden mehr als 4000 Priester der sexuellen Belästigung Minderjähriger seit dem Jahre 1950 angeklagt, und die Katholische Kirche hat dort mehr als 2 Milliarden US-$ an Abfindungen bezahlt. Die Erzdiözese Los Angeles meldete 2007 eine 600-Millionen-Dollar-Abfindung für etwa 500 Kläger. Sechs Diözesen wurden in die Pleite getrieben und viele Diözesen waren gezwungen, beträchtliche kirchliche Vermögenswerte zu verkaufen, um die Abfindungen bezahlen zu können.

Viele dieser Fälle werden im Einzelnen beschrieben von einer Organisation namens SNAP, dem Überlebendennetzwerk der von Priestern missbrauchten (Survivors Network of those Abused by Priests). SNAP bezeichnet sich selbst als die älteste und größte Unterstützergruppe für Opfer klerikalen Missbrauchs.

Nicht nur Kinder wurden Opfer von Missbrauch. Laut St. Louis Post-Dispatch vom 4. Januar 2003 wurde eine von Forschern an der St. Louis Universität durchgeführte landesweite Studie teilweise von verschiedenen Orden katholischer Nonnen bezahlt. Darin wird geschätzt, dass „mindestens“ 34.000 katholische Nonnen, oder 40 Prozent aller Nonnen in den Vereinigten Staaten, irgendeine Art von sexuellem Trauma erlitten haben.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass bezüglich des sexuellem Missbrauch die Zeugenaussagen, Gerichtsverfahren, Untersuchungen und Enthüllungen ganz überwiegend aus dem kirchlichen Raum von den Missbrauchsopfern selbst kommen.

Auch beteiligten sich viele einfache empörte Katholiken daran, von einer privilegierten, klerikalen Hierarchie Rechenschaft zu fordern, die statt auf den Schutz von Kindern nur auf die Wahrung ihrer Stellung, Autorität und Vermögenslage und bedacht ist.

Überall in Europa wird immer mehr die Forderung erhoben, Papst Benedikt strafrechtlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zur Verantwortung ziehen, und zwar mit der Begründung, dass der Schutz der Kirche statt ihrer Opfer eine strafbare Handlung ist. Geoffrey Robertson, erster Präsident und Berufungsrichter des UN-Sondergerichtshofs für Sierra Leone sowie Mitglied des Internen Justiz-Rats der UN, meint, es sei Zeit, die Immunität des Papstes in Frage zu stellen.

Robertson erklärte in einem Artikel im Londoner The Guardian vom 2. April unter der Überschrift „Der Papst gehört auf die Anklagebank“: „Die gerichtliche Immunität ist nicht aufrechtzuerhalten. Der Vatikan sollte das volle Gewicht des internationalen Rechts zu spüren bekommen. Pädophilie ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der abnorme Anspruch des Vatikans, ein Staat – und des Papstes, ein Staatsoberhaupt und folglich gerichtlich immun zu sein, ist bei näherer Betrachtung nicht aufrechtzuerhalten.“

Selbstverständlich muss daran erinnert werden, dass der Internationale Strafgerichtshof Anklagen bisher nur gegen vier afrikanische Staaten erhoben hat, die vom Imperialismus ins Visier genommen wurden.

Kriegsverbrechen der USA in Irak und Afghanistan sowie israelische Verbrechen gegen palästinensische und libanesische Zivilisten wurden vom IStGH unbeachtet gelassen. Als ein Bollwerk des US-Imperialismus auf globaler Ebene hat der Vatikan in nächster Zeit kaum mit einer Anklage zu rechnen.

Krieg gegen die globale Bewegung für Gerechtigkeit

Welche Rolle spielt der Vatikan in der Klassengesellschaft, die für den US-Imperialismus von besonderem Wert ist?

Während Papst Benedikt XVI Tausenden von Priestern, die des Kindesmissbrauchs schuldig sind, die Absolution erteilt, sie gedeckt und auf andere Posten versetzt hat, hat er 25 Jahre lang seine Stellung als Leiter der machtvollsten Kircheneinrichtung, der Glaubenskongregation, genutzt, um zu Tausenden Priester, Bischöfe und andere geistliche Personen, die in irgendeiner Weise fortschrittlich waren oder sich um die Verteidigung der Rechte und der Würde armer und unterdrückter Menschen kümmerten, aus Gemeinden, Schulen und allen Autoritätsfunktionen zu entfernen.

Andersdenkende katholische Theologen, Lehrer, Schriftsteller und Intellektuelle wurden daran gehindert in kirchlichen Einrichtungen zu schreiben, zu publizieren und zu lehren. Bischöfe, die versuchten, ihre Autorität für einen sozialen Wandel einzusetzen, wurden auf ihre Loyalität hin überprüft und zur Abdankung gezwungen. Sie wurden ersetzt durch die politisch reaktionärsten Kleriker, die sich vor allem um die Erhaltung religiöser Autorität und Dogmatik kümmerten.

Das waren rechtsgerichtete Kraftakte, um eine fortschrittliche religiöse Strömung auszumerzen, die als „Befreiungstheologie“ bekannt wurde und die Kirche zu einer Verbündeten von Befreiungsbewegungen und antikolonialen und revolutionären Bewegungen in Afrika, Asien und Lateinamerika sowie der Bürgerrechtsbewegung in den USA machen wollte.

Priester wie Vater Camilo Torres in Kolumbien, der im Bemühen um die Einheit von Marxismus und Katholizismus schrieb, redete und organisierte, wurden als eine direkte Bedrohung der kapitalistischen Ausbeutung angesehen. Vater Torres schloss sich dem bewaffneten Kampf gegen die von den USA unterstützte Diktatur an und fiel im Kampf.

Politisch aktive Nonnen in der Leitung der Zufluchtsbewegung (Sanctuary movement) für Hilfe und sicheres Geleit für salvadorianische Immigranten, die vor Todesschwadronen flüchteten, wurden ins Visier genommen. Desgleichen Philip und Tom Berrigan, zwei Priester, die als Aktivisten einer katholischen Gruppe gegen den Vietnam-Krieg ständig Verhaftung riskierten und Gefängnisstrafen verbüßten.

Befreiungstheologen wie der charismatische Leonardo Boff aus Brasilien wurden durch die Kirche am Schreiben und Reden gehindert. Priester, die versuchten, den Armen zu dienen wie Vater Jean-Bertrand Aristide aus Haiti wurden aus ihren religiösen Orden ausgeschlossen und wegen des Verbrechens der „Glorifizierung des Klassenkampfes“ zum Rücktritt gezwungen. Dem Bischof Samuel Ruiz aus Chiapas in Mexiko wurde befohlen, sich „marxistischer Interpretationen“ zu enthalten.

Es war eine Hexenjagd und Säuberung, die sich gegen antirassistische Aktivisten und Kämpfer für soziale Gerechtigkeit richtete. Doch der reaktionäre abtrünnige Bischof Richard Williamson, der öffentlich den Holocaust leugnete, wurde in der Kirche wieder willkommen geheißen.

Gegenüber einer anwachsenden Opposition auf allen Ebenen entschloss sich diese mächtige Institution, die Jahrhunderte lang Eigentum und Privileg der herrschenden Klassen des Westens geschützt hatte, die fanatischsten und reaktionärsten Kräfte nach oben zu befördern, um diejenigen zu bekämpfen, die auf Wandel, Öffnung, Gleichheit und Beachtung der Bedürfnisse der Armen und Unterdrückten drängten.

Unter Papst Johann Paul II und dann Papst Benedikt XVI war die Katholische Kirche in der Gegnerschaft gegen den sozialistischen Aufbau in Osteuropa ein zuverlässiger Verbündeter des US-Imperialismus. Dafür spielten die mächtigen US-Medien eine aktive Rolle, um für die Kirche zu werben und ihr eine günstige Darstellung zu verschaffen, derweil die Muslime und andere Religionen unterdrückter Menschen dämonisiert wurden.

Im Jahre 2006 leistete Papst Benedikt der antimuslimischen Propaganda Schützenhilfe, die von Washington bewusst entfacht worden war, um Krieg und Besatzung in Irak und Afghanistan zu rechtfertigen. In einem grundlegenden päpstlichen Vortrag zitierte er einen byzantinischen Kaiser aus dem 14. Jahrhundert, der gemeint hatte, der Prophet Mohammed habe der Welt „nur Schlechtes und Inhumanes“ gebracht.

Die Allianz mit dem Imperialismus der USA brachte die Katholische Kirche zwangsläufig dazu, die reaktionärsten Exzesse ihrer eigenen Vergangenheit wiederzubeleben. In Spitzenämter im Vatikan und weltweit rückten Mitglieder von Gruppierungen wie das geheimnisvolle Opus Dei und die Legionäre Christi, die in Lateinamerika überall mit Todesschwadronen und Militärdiktaturen und in Europa mit Faschismus und extremer Reaktion in Verbindung standen.

Zwei Faschisten wurden heilig bzw. selig gesprochen: Josemaria Escrivá, der während des zweiten Weltkrieges auf der Seite Hitlers faschistische Banden organisierte, um in Francos Spanien Hetzjagden auf Kommunisten und revolutionäre Gewerkschafter zu veranstalten, und Kardinal Aloysius Stepinac aus Kroatien, der an der Errichtung von Vernichtungslagern für Juden, Serben und Roma mitwirkte.

Es ist kein Widerspruch, dass Priester, die Kinder missbraucht hatten, geschützt und versteckt gehalten wurden, während jene religiösen Kräfte, die bestrebt waren, die Rechte der Unterdrückten zu verteidigen und sich mit ihren Bewegungen verbündeten, zum Rücktritt gezwungen wurden. Milde gegenüber verbrecherischen Halunken und barsche Zügelung fortschrittlicher Menschen sind zwei Seiten derselben Klassenpolitik, um die Autorität der etablierten Hierarchie zu verteidigen. Es ist dieselbe Herangehensweise, die bei jeder sozialpolischen Frage zum Zuge kommt.

Repressive Einstellung zu jeder Sexualität

Ob im römischen Sklavenhalterstaat, später in der europäischen Feudalgesellschaft und schließlich als wichtiges Instrument imperialistischer Eroberung, es handelt sich immer um eine religiöse Institution, die in der Klassengesellschaft und im Patriarchat wurzelt. Dieses patriarchalische Erbe ist die Grundlage ihrer repressiven Ansichten zu allen menschlichen sexuellen Ausdrucksformen. Schwul oder hetero, verheiratet oder ledig, die Katholische Kirche beanspruchte stets das Recht, der ganzen Gesellschaft die Gesetze des sexuellen Verhaltens vorzuschreiben.

Während Ratzinger nichts gegen sexuelle Strauchdiebe unternahm, weil dies die Autorität und Heiligkeit des Priestertums gefährdet hätte, war er zugleich der führende Vollstrecker archaischer religiöser Glaubenssätze über Sexualität und die untergeordnete Rolle der Frauen in der Kirche und in der Gesellschaft insgesamt. Bei Geburtenkontrolle, Schwangerschaftsunterbrechung, Scheidung oder Anerkennung der Homosexualität wurde keinerlei Liberalisierung geduldet. Innerhalb der Kirche wurde diese Leitlinie durch die Betonung von Sünde und Schuld durchgesetzt. Schwule Katholiken, Katholiken, die wiederverheiratet waren, Geburtenkontrolle praktizierten oder eine Schwangerschaftsunterbrechung vorgenommen hatten, wurden von den Sakramente ausgeschlossen oder exkommuniziert.

In der säkularen Gesellschaft wurde das ganze Gewicht kirchlicher Institutionen mit gewaltigem Spendenaufkommen und großem politischen Einfluss aggressiv genutzt, um gegen die Liberalisierung des Scheidungsrechts und das Recht der Frau auf Geburtenkontrolle und Schwangerschaftsunterbrechung zu opponieren. Die Katholische Kirche organisierte und finanzierte politische Kampagnen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und die Adoption von Kindern durch schwule Paare. Aber wo man die religiöse Pflicht beschwor, das „ungeborene Kind“ zu schützen, weigerte man sich zugleich, Kinder zu schützen, die unmittelbar unter der eigenen Aufsicht standen.

Als der Proteststurm wegen der Übergriffe gegen Kinder im kirchlichen Gewahrsam anschwoll, versuchte diese reaktionäre Gruppierung ihre kriminelle Vertuschung in einen Kampf gegen Schwule umzumünzen und Pädophilie, den Missbrauch kleiner Kinder, mit freiwilliger Homosexualität unter Erwachsenen in Verbindung zu bringen.

Am 14. April schob Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, im Vatikan eine Spitzenernennung Papst Benedikts, die Schuld an der Pädophilie auf die Homosexualität, die er eine „krankhafte Erscheinung“ nannte. Papst Benedikt beschrieb die Homosexualität in einem allgemein bekannten Brief an die Bischöfe aus dem Jahre 1986 als „ein inhärentes moralisches Übel“. Er ging so weit, gewaltsame Angriffe auf Schwule zu rechtfertigen und sogar zu ermuntern, indem er erklärte, dass „weder die Kirche noch die Gesellschaft überrascht sein sollte, falls irrationale und gewaltsame Reaktionen zunehmen“, wenn Schwule bürgerliche Rechte einfordern.

Diese Verbrechen gegen alle Bewegungen unterdrückter Völker müssen berücksichtigt werden, wenn man sich über die Kirchenhierarchie empört.

Die Jahre der Repression, Hexenjagden und Engstirnigkeit haben der Katholischen Kirche immer weniger Unterstützung eingebracht. Man hat immer weniger Gespür für die eigene Gemeinde und überhaupt keine Verbindung zu den Werten der Gesellschaft insgesamt.

Trotz aller Kraftanstrengungen gibt es keinen Weg zurück zum eigenen Einfluss von vor 500 oder selbst 100 Jahren, als die Priester und Bischöfe für ihre Verbrechen gegen Frauen oder gegen Sklaven, Leibeigene, Bauern oder des Lesens unkundige Arbeiter keine Rechenschaft schuldig waren.

Sorgfältig formulierte Rechtfertigungen, die kein Verschulden einräumen, und inszenierte öffentlichkeitswirksame Zusammentreffen mit einigen wenigen Missbrauchopfern werden die Krise, der sich die reaktionäre Führung der Kirche gegenübersieht, nicht lösen.

Heute haben jene, die Missbrauch erlitten haben, ihre Stimme gefunden und sie haben Verbündete gefunden.

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Klaus von Raussendorff

* Die Autorin absolvierte/überlebte 14 Jahre in katholischen Schulen

Quelle des Originals: http://www.workers.org/2010/world/pope_0429/ und
http://www.iacenter.org/o/world/pope051210/#ger