Migration – ihre Ursachen und Folgen

Die Belgrader Tageszeitung „Alo!“ befragte in ihrer Ausgabe vom 12. Oktober Klaus Hartmann, Präsident der Weltunion der Freidenker, unter anderem zum Hauptthema der WUF-Konferenz vom 14. September 2019 in Esch-sur-Alzette (L).


Alo!: Ende September fand in Luxemburg eine Konferenz der Weltunion der Freidenker statt, deren Vorsitzender Sie sind. Das Tagungsthema war „Migranten“, können Sie mir mehr über die aktuelle Situation in Europa unter diesem Aspekt erzählen?

Klaus Hartmann: Genauer gesagt ging es um Migration, ihre Ursachen und Folgen. Wir fragten, wer profitiert davon – warum haben sich die Teilnehmer des Weltwirtschaftsgipfels in Davos wiederholt für die Förderung der Migration ausgesprochen? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie wollen Sozialdumping, sie sehen in den Migranten willkommene Lohndrücker, eine industrielle Reservearmee.

So löst Migration soziale Verwerfungen in den Aufnahmeländern aus. Aber auch die Herkunftsländer werden in ihrer Entwicklung behindert, die auf ihre Kosten ausgebildeten Arbeitskräfte wandern ab.

Für Freidenker war es auch ein zentrales Thema, ob die unterschiedlichen Religionen nun alle nach gleichen Privilegien streben. Oder ob Gleichberechtigung und friedliches Zusammenleben nicht besser auf der Grundlage gedeiht: kein Privileg für niemand.

Die Situation in den Ländern der EU ist widersprüchlich und von gegensätzlichen Interessen geprägt. In den wirtschaftlich stärkeren Ländern wollen die kapitalhörigen Regierungen einerseits den Wunsch von Unternehmen nach ungebremstem Zustrom von Arbeitskräften erfüllen; andererseits müssen sie auf eine zunehmend kritische Stimmung in der Bevölkerung Rücksicht nehmen, die eine Konkurrenz um ordentlich bezahlte Arbeit und um den knappen bezahlbaren Wohnraum kritisch sieht.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hüllte sich mit ihrer „Willkommenskultur“ in die Toga der „Humanität“, während andere ärmere EU-Länder die Folgen tragen sollten. Aber diese Humanität ist ein falsches Spiel, aus mehreren Gründen:

  1. Es sind die Kriege des Westens, die als Hauptfluchtursache gelten müssen.
  2. Es sind die ungerechten neokolonialen Wirtschaftsabkommen des Westens, auch der EU, mit denen die Länder des Trikont zur Öffnung ihrer Märkte gezwungen werden, und die ihnen die Existenzgrundlage und die Entwicklungsperspektive nehmen.
  3. Nato und USA führen fortgesetzt sogenannte „Regime-Change“-Kriege, mit verdeckten Militäroperationen, wirtschaftlichen Sanktionen und der gezielten Entvölkerung dieser Länder: besonders Migranten aus Syrien und aus Eritrea waren deshalb besonders „willkommen“.

Es ist eine Heuchelei, danach von Humanität zu reden.

 

Alo!: Die deutsche Bundestagsabgeordnete Jacqueline Nastic stellte fest, dass sich Deutschland gegenüber Serbien heuchlerisch verhält und dass es Kosovo zu früh anerkannt hat. Was ist Ihr Kommentar dazu? Kann Serbien Kosovo bewahren?

K. H.: Die gesamte Politik der Nato, der USA und auch Deutschlands gegenüber Serbien war und ist heuchlerisch und von doppelten Standards geprägt – seit mindestens drei Jahrzehnten. Die vorläufige Krönung dieser Politik war die Nato-Aggression 1999, die ebenfalls unter dem verlogenen Vorwand von „Humanität“ stattfand.

Auch dies war ein „Regime-Change“-Krieg, vordergründig gegen Präsident Milosevic, den man zum Inbegriff des Bösen machte, in der Realität, um abhängige Kleinstaaten zu schaffen, einen neoliberalen Kapitalismus zu diktieren und den Machtbereich der Nato auszudehnen.

Für diese Ziele des Westens bediente sich die Nato der albanischen Terroristen als Bodentruppen. Sie gestattete ihnen die weitgehende ethnische Säuberung der serbischen Provinz Kosovo und Methojia von Serben und nichtalbanischen Bürgern. Sie akzeptierte die Zerstörung religiöser und kultureller Denkmäler, den Organ- und Drogenhandel und die Entwicklung ihrer Besatzungszone in eine Hochburg des Terrorismus.

Zur Belohnung für diese barbarischen Hilfsdienste erhielten die Terroristen einen „eigenen Staat“ aus der Hand des Westens. Dieser „selbstständige Kosovo“ ist zwar eine Kriegsbeute der Nato, aber völkerrechtswidrig: Ein Verstoß gegen die UN-Resolution 1244. Deshalb ist die Ausrufung des „Staates“ wie auch jeden Anerkennung nichtig von Beginn an.

Insofern war die Anerkennung durch Deutschland und andere westliche Staaten nicht nur „zu früh“, wie die deutsche Bundestagsabgeordnete Jacqueline Nastic feststellte – es war ein Bruch des Internationalen Rechts, eine konsequente Fortsetzung der Nato-Aggression.

Es ist aber nicht zu spät, diesen Fehler wieder rückgängig zu machen, wie dies eine Reihe von Staaten mit der Widerrufung der Anerkennung bereits getan hat.

Zur künftigen Entwicklung des Kosovo-Problems muss man zwei Ebenen unterscheiden: Der grundsätzliche Anspruch Serbiens auf diesen Teil seines Territoriums entspricht seinem Recht auf territoriale Integrität und Unverletzlichkeit seiner Grenzen, er steht in völliger Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und darf nicht zur Disposition gestellt werden. Eine andere Frage ist die Wiederherstellung des Rechts, und dies ist nicht kurzfristig, sondern nur mit langem Atem, vielleicht erst nach mehreren Jahrzehnten realisierbar.

Unmittelbar muss aber eine Verbesserung der aktuellen Situation und der Lebensbedingungen der Menschen erreicht werden, dazu sind Verhandlungen und Kompromisse nötig, die aber den grundsätzlichen Rechtsanspruch nicht berühren. Möglicherweise sind dafür nun die Chancen größer, da nach der Wahl nicht mehr die Hauptkriegsverbrecher an der Spitze des Kosovo stehen.

Entschieden muss aber die Forderung Deutschlands und anderer EU-Staaten zurückgewiesen werden, von Serbien die Anerkennung des Kosovo als Voraussetzung für einen EU-Beitritt zu verlangen. Hier stimme ich MdB Jacqueline Nastic vorbehaltlos zu, die dies als „erpresserisch und inakzeptabel“ bezeichnet hat. Ich füge hinzu: Darin zeigt sich wieder die Ganoven-Moral der Nato-Krieger.

 

Alo!: Wohin geht Europa? Ist Amerikas Einfluss auf Europa unter der Trump-Administration noch der gleiche? Wie steht es um den Einfluss und die Beziehungen mit Russland, China, einem zunehmend einflussreichen Indien? Und wo steht Serbien in dieser Situation? Was denken Sie über Serbiens aktuellen Kurs? Wo liegt die Zukunft? In Europa oder in Russland?

K. H.: Ich will zunächst klarstellen: Wenn hier von „Europa“ die Rede ist, ist die Europäische Union gemeint. Das ist nicht identisch, selbst wenn die EU-Propaganda einen Alleinvertretungsanspruch reklamiert. Auch ein großer Teil Russlands gehört zu Europa!

Seit dem Amtsantritt Trumps haben sich unübersehbar Irritationen und Entfremdungen bei den anderen „westlichen Partnern“ breit gemacht. Ihre Motive sind allerdings negative: sie zweifeln an Trumps Zuverlässigkeit als Kalter Krieger, als Nato-Partner, Weltpolizist und Speerspitze gegen Russland. Sie hätten lieber die Kriegsverbrecherin Clinton im Weißen Haus gesehen. Trump bedient andere Kapitalfraktionen der USA, die ihre Profite nicht in erster Linie aus Kriegen und Regime Changes in aller Welt zu ziehen trachten.
Dass nun die Medien der Nato-Länder Trump als „unzuverlässig“ und „unberechenbar“ darstellen, hat aber auf die Öffentlichkeit eine positive Wirkung: Die Entfremdung von den USA nimmt zu, das Misstrauen zur „westlichen Führungsmacht“ wächst, mehrheitlich sieht man in Trump eine größere Gefahr für den Frieden als in Putin. Stabile Mehrheiten in Meinungsumfragen wollen Frieden mit Russland.

Ohne Zweifel sind die USA eine „Supermacht im Abstieg“, und ihre „westlichen Partner“ begleiten sie dabei. China, Russland, auch Indien vergrößern ihre ökonomische Potenz und ihren internationalen Einfluss. Wir erleben den Wandel zu einer multipolaren, einer polyzentrischen Weltordnung.

Eigentlich müsste für Länder wie Serbien die Frage nach dem eigenen Platz nicht schwer zu beantworten sein: Will man an der Seite der künftigen Verlierer oder der Aufsteiger stehen?

Es gibt darüber hinaus auch noch konkrete Argumente: Absteigende Mächte werden nicht weniger gefährlich. Wir sehen die Politik der fortgesetzten Einkreisung Chinas und Russlands, den Nato-Aufmarsch an den russischen Grenzen. Bereits die Nato-Aggression gegen Jugoslawien, die Installation von Camp Bondsteel im Kosovo und die Nato-Mitgliedschaft von Montenegro bis Makedonien sind Bausteine dieses aggressiven Kurses gegen Russland.

Was lehrt uns unsere eigene Erfahrung? Frieden auf dem Balkan herrschte in den Jahren der Nichtpaktgebundenheit. Führende Vertreter der Nato und der EU verlangen von Serbien, es müsse sich zwischen „dem Westen“ und Russland entscheiden. Die Erpressung soll fortgesetzt werden. Niemand bei klarem Verstand legt sich mit seinem Mörder in ein Bett. Serbien sollte mit der Losung der französischen, italienischen und deutschen Friedensbewegung antworten: Frieden mit Russland und raus aus der Nato!

Lassen Sie mich abschließend noch vor der Illusion warnen, man könne Mitglied der Europäischen Union sein, und hätte vor der Nato Ruhe. Die EU verpflichtet alle Mitgliedstaaten zu ständiger Aufrüstung, sie hat eine gemeinsame Kriegskasse, sie unterhält für „Krisenfälle“ eine „Europäische Interventionsinitiative“ und sie verstärkt ihre Kooperation mit der Nato. Und sie verpflichtet die Mitgliedsstaaten zu Sanktionen gegen Russland. Diese EU steht nicht für Frieden, sondern für das Ende von nationaler Unabhängigkeit und Souveränität.